Mitarbeiter geben ihrem Pflegeheim eine neue Identität

Die Beschäftigten des BRK-Pflegezentrums in Furth im Wald haben ein Leitbild erarbeitet und vorgestellt. Sie verarbeiten darin auch die prägenden Erfahrungen aus der Zeit, in der ein schwerer Corona-Ausbruch ihnen alles abverlangte. In den neuen Leitlinien für den Pflege- und Arbeitsalltag geht es nicht zuletzt um die Frage, wie die Mitarbeiter sensibel sein können - sich selbst, aber auch anderen gegenüber.

Von Frank Betthausen

Furth im Wald. Sie waren nervös, mussten all ihren Mut zusammennehmen und begeisterten am Ende mit ihrer natürlichen, humorvollen und bodenständigen Art auch BRK-Kreisgeschäftsführer Manfred Aschenbrenner, der in der ersten Reihe saß: Bei zwei jeweils eineinhalbstündigen Terminen haben die Mitglieder der Leitbild-Arbeitsgruppe im BRK-Pflegezentrum in Furth im Wald der Belegschaft die Ergebnisse ihrer monatelangen Arbeit präsentiert.

Raisa Bachmeier-Schandaljuk (rechts) aus dem Arbeitsbereich Hauswirtschaft und Betreuungsassistentin Marion Aschenbrenner widmeten sich dem Themenkomplex „Verbunden sein“.

„Ich bin tief beeindruckt von dieser positiven Energie, die sich in dieser Einrichtung in Furth im Wald in den letzten Wochen und Monaten entwickelt hat.“ BRK-Kreisgeschäftsführer Manfred Aschenbrenner

Für die meisten der bunt zusammengewürfelten Kollegen, die in der Pflege genauso tätig sind wie in der Küche, im Betreuungsdienst oder im Reinigungsteam, war es der erste Auftritt vor einer größeren Zuhörergruppe. „Ich bin tief beeindruckt von dieser positiven Energie, die sich in dieser Einrichtung in Furth im Wald in den letzten Wochen und Monaten entwickelt hat. Das ist Ihr Verdienst“, sagte Aschenbrenner nach den unterhaltsam-launigen, mitreißenden, aber auch nachdenklich stimmenden Vorträgen an die Adresse der Mitarbeiter.

Seit Jahren, berichtete Heimleiter Stefan Hupf zu Beginn der Veranstaltung, sei in seinem Haus über ein Leitbild nachgedacht worden. „Jetzt sind wir gereift – und jetzt sind wir so weit“, sagte er und nahm damit auch den schweren Corona-Ausbruch in der Dr.-Adam-Voll-Straße in den Blick, der sich dort zum Jahreswechsel ereignet und dem Personal alles abverlangt hatte.

Ende 2019 hatte das Leitbild-Gremium in dem BRK-Haus seine Arbeit aufgenommen, wie Projekt- und Pflegedienstleiterin Elisabeth Nachreiner erzählte – doch vor allem das heimtückische Virus, das seit Anfang 2020 unaufhaltsam um die Welt ging, bremste das Engagement der Arbeitsgruppe immer wieder aus. In der Rückschau sprach Nachreiner von „außergewöhnlichen Teambesprechungen“, die auch eine Aufarbeitung dessen gewesen seien, „was wir erlebt haben“.

Mit ihren Vorträgen und ihrer natürlichen Art begeisterten die Mitarbeiter aus Furth im Wald nicht nur BRK-Kreisgeschäftsführer Manfred Aschenbrenner (links). Auch Projektleiterin Elisabeth Nachreiner (vorne links) und Heimleiter Stefan Hupf (rechts) waren sehr angetan.

„Was macht uns aus?“: Dieser zentralen Frage gingen Hupfs Mitarbeiter unter Anleitung von Elisabeth Nachreiner nach, um dem BRK-Pflegezentrum in Furth im Wald mit einem Leitbild eine neue Identität zu geben. Mit Themen wie Teamarbeit, Würde, Professionalität, Vertrauen oder Verlässlichkeit zählte Nachreiner in ihrer Anmoderation einige der Punkte auf, zu denen sich das Gremium bei seinen Sitzungen Gedanken machte.

Grundlage war das sogenannte „Integrale Lebensqualitätsmodell“, das vor einiger Zeit auch in die Kinästhetik, in die Lehre von der Bewegungsempfindung, einfloss, mit der sich Nachreiner intensiv beschäftigt.

„Integral“ bedeutet in diesem Fall, wie die Pflegedienstleiterin und Kinaesthetics-Trainerin erklärte, sensibel zu sein für sich selbst und andere. Nachreiner, die auch den ersten Leitbild-Komplex „Kompetent sein“ vorstellte, zeigte auf, dass es bei der Frage nach mehr Lebensqualität im Heimalltag in besonderer Weise darum gehe, „im Hier und Jetzt für die Menschen da zu sein“ und beispielsweise die Frage „Wie geht es Ihnen heute?“ nicht als Floskel „dahinzuplappern“, sondern sie in diesem Moment auch so zu leben und zu meinen. „Das ist in unserer Welt ein wenig verlorengegangen“, meinte sie.

Beim Thema Kompetenz, stellte Nachreiner eine zentrale Erkenntnis der Leitbild-Arbeitsgruppe vor, gehe es nicht zuletzt für Führungskräfte darum, „loszulassen, Mitarbeitern zu vertrauen und ihnen Dinge zuzutrauen“. Auch hier dockt nach ihren Worten die Kinästhetik mit zentralen Fragen an wie „Wie funktioniert der Mensch?“ oder „Was braucht er konkret in genau dieser Situation?“.

Jede Person sei einzigartig. „Dadurch sind wir eine einzigartige Organisation“, sagte die Projektleiterin, die auch verdeutlichte, dass Wissen und Kompetenz nicht vom Himmel fielen. „Das muss man sich jeden Tag erarbeiten“, betonte Nachreiner.

„Wissen und Kompetenz fallen nicht vom Himmel. Das muss man sich jeden Tag erarbeiten.“ Pflegedienstleiterin Elisabeth Nachreiner

Nach ihrer Auftaktpräsentation trugen die Mitglieder des Projektteams die weiteren Unterpunkte des neuen Leitbilds vor – mit vielen Praxisbeispielen und Erlebnissen aus dem Pflege- und Arbeitsalltag. Martina Gutscher, Marion Schweitzer und Nadine Eckl, alle drei Auszubildende, beleuchteten den Themenkomplex „Sinnerfüllt sein“.

Sie erklärten, wie wichtig es sei, Sensibilität für sich und das eigene Verhalten sowie ein Gespür dafür zu entwickeln, in welcher Situation sich ein Bewohner gerade befinde. Der eine brauche mehr Zuneigung, der andere wolle einfach seine Ruhe haben. „Es geht darum, den Menschen so Mensch sein zu lassen, wie er ist“, meinten die Beschäftigten.

Den Leitbild-Vortrag rundeten die Pflegefachkräfte Silke Huber (hier im Bild) und Rita Zwicknagl mit ihren Gedanken zum Thema „Wirksam sein“ ab.

Raisa Bachmeier-Schandaljuk aus dem Arbeitsbereich Hauswirtschaft und Betreuungsassistentin Marion Aschenbrenner widmeten sich dem Themenkomplex „Verbunden sein“. Aschenbrenner berichtete offen und ehrlich von ihren Startschwierigkeiten vor vier Jahren und davon, dass sie kurz davorstand, ihre Tätigkeit hinzuwerfen. Bis sie nach eigenen Angaben Verbundenheit zu den Kollegen und den Bewohnern aufbaute.

Heute mache ihr die Arbeit Spaß und jeden Tag Freude – nicht zuletzt deswegen, weil sie die vielen Freiheiten im Alltag schätze und in Furth nicht nach Schema F gearbeitet werde. „Jeder Tag ist anders. Wir sind es – und die Bewohner. Und so stellen wir uns jeden Tag auf die Arbeit ein“, sagte sie.

Susanne Heuschneider, stellvertretende Küchenleiterin, verdeutlichte in ihrem Vortrag, wie wichtig es sei, „autonom zu sein“. Jeder dürfe seine lebenslange Entwicklung selbst gestalten und daran wachsen, stellte sie eine der Erkenntnisse der Leitbild-Arbeitsgruppe vor.

Susanne Heuschneider, stellvertretende Küchenleiterin, verdeutlichte in ihrem kurzen Vortrag, wie wichtig es sei, „autonom zu sein“. Jeder dürfe seine lebenslange Entwicklung selbst gestalten und daran wachsen, stellte sie eine der Erkenntnisse der Leitbild-Arbeitsgruppe vor. „Wir sind keine Maschinen. Alles spielt zusammen – und autonom zu sein, ist eine ganz große Sache dabei“, befand sie. Das Ergebnis dieser Arbeitshaltung in Furth im Wald? „Es gibt wenige Küchen, in denen es so ruhig zugeht“, sagte Heuschneider.

Den Leitbild-Vortrag rundeten die Pflegefachkräfte Silke Huber und Rita Zwicknagl mit ihren Gedanken zum Thema „Wirksam sein“ ab. Jeder Mensch wolle wirksam sein, um aus eigener Kraft die eigenen Ziele und Vorhaben erreichen und umsetzen zu können. „Das ist der Sinn unserer Arbeit – wirksam zu sein“, sagte Zwicknagl.

Bei all dem gebe es kein falsch und kein richtig. „Es gibt ein Miteinander – und keiner braucht Angst zu haben, wirksam zu sein“, sagten die beiden Kollegen, die dafür plädierten, immer wieder „alte Schienen zu verlassen und Fehler als Quelle der Entwicklung anzuerkennen“.

BRK-Kreisgeschäftsführer Manfred Aschenbrenner imponierte extrem, auf welche Art und Weise die Belegschaft „in eine neue Zukunft der Pflege hineingeht“. Den Beschäftigten bescheinigte er in seinem Schlusswort große Leidenschaft. „So ein Leitbild kann man nicht diktieren“, befand er. „Das wurde hier in Furth im Wald von unten nach oben entwickelt.“

Nach der dritten Pandemie-Welle sah er die Zeit gekommen, die Pflegeheime wieder „nach außen zu öffnen und mit einem neuen Selbstverständnis nach draußen zu gehen“. Der Kreisgeschäftsführer richtete den leidenschaftlichen Appell an das Team von Heimleiter Stefan Hupf und Pflegedienstleiterin Elisabeth Nachreiner: „Lassen Sie sich nicht nach und tragen Sie das, was Sie hier entwickelt haben, auch nach außen!“