Der Traum von Stefan Hupf und Elisabeth Nachreiner geht in Erfüllung

Das BRK-Pflegeheim in Furth im Wald hat sich als Kinaesthetics-Kompetenzzentrum etabliert. Das ist bei einem Fachtag mit Teilnehmern aus ganz Deutschland gefeiert worden. Die Kinästhetik, die Lehre von der Bewegung, setzt am „Kern der Pflege“ an und unterstützt Menschen bei ihren alltäglichen Aktivitäten. Ziel ist es, ihre Selbstständigkeit zu fördern. „Wenn man da investiert, löst man viele Probleme“, sagt der Kinaesthetics-Experte Stefan Knobel aus der Schweiz. Er sieht darin eine große Chance, zu verhindern, dass Fachkräfte der Pflege den Rücken kehren – mit ruinierter Gesundheit und frustriert darüber, dass sie Betroffenen trotz ihrer hohen Ansprüche „oft gar nicht wirklich helfen“. Heimleiter Stefan Hupf und seine Pflegedienstleiterin Elisabeth Nachreiner sagen nach elf Jahren leidenschaftlicher Arbeit: „Das Konzept macht sich bezahlt.“

Von Frank Betthausen

Furth im Wald. Für Heimleiter Stefan Hupf sind die Erfolge messbar: Im Vergleich zur Branche verzeichnet er im BRK-Pflegezentrum Furth im Wald weniger Krankheitstage bei den Mitarbeitern, weniger Fluktuation und zufriedenere Kollegen. „Wir haben seit Jahren kein Personalproblem“, sagt er. Einer der wesentlichen Gründe dafür ist in seinen Augen das Projekt Kinaesthetics, das in seinem Haus seit 2011 von allen Mitarbeitern gelebt und umgesetzt wird – unter Federführung von Pflegedienstleiterin Elisabeth Nachreiner. „Das Konzept macht sich bezahlt“, sagt Hupf am Rande des Fachtags Kinaesthetics, der am Dienstag in der Dr.-Adam-Voll-Straße stattfindet.

„Da gehört Begeisterung dazu, da muss man Menschen mitnehmen können – und das ist in Furth verdammt gut gelungen.“ BRK-Kreisvorsitzender Theo Zellner

60 Teilnehmer – angereist bis aus Kaiserslautern – sind in die Drachenstich-Stadt gekommen, um Input-Vorträge zur Kinästhetik, der Lehre von der Bewegung, zu hören und an Workshops teilzunehmen. Darüber hinaus schließen an diesem Tag, den das BRK und der Berufsverband Kinaesthetics Deutschland organisiert haben, 20 Teilnehmer ihre Trainer-Ausbildung der ersten von drei Stufen ab.

Die Lehrgänge hatten in den vergangenen Wochen in Furth im Wald stattgefunden. Die BRK-Einrichtung hat sich mit der Ausrichtung endgültig als Kinaesthetics-Kompetenzzentrum etabliert – ein lange gehegter Traum von Hupf und Nachreiner. „Heute schließt sich für mich ein Kreis“, sagt der Heimleiter und schiebt zufrieden lächelnd nach: „Frau Nachreiner, ich glaube, wir haben es geschafft“.

Es ist der Punkt seiner Begrüßungsrede, an der er das Wirken seiner Pflegedienstleiterin in besonderer Weise würdigt. Ohne deren Engagement und Idealismus, betont er, „wären wir nicht da, wo wir sind“.

Eines der großen Alleinstellungsmerkmale

Eine Tatsache, die Theo Zellner ebenfalls klar benennt. Der BRK-Kreisvorsitzende macht im Projekt Kinaesthetics eines der großen Alleinstellungsmerkmale des Pflegezentrums in Furth im Wald aus. Jeder Mitarbeiter werde hier so weit gebracht, dass er dieses Thema verinnerliche. „Da gehört Begeisterung dazu, da muss man Menschen mitnehmen können – und das ist in Furth verdammt gut gelungen“, sagt er.

Elisabeth Nachreiner, Stefan Hupf und ihrem Team zollt er „größten Respekt“ für die jahrelange Arbeit. „Sie haben unser Haus bundesweit bekannt gemacht.“

In seinem Grußwort zeigt Zellner Außenstehenden und all denen, die erstmals mit dem Thema zu tun haben, die Zielrichtung von Kinaesthetics auf. Mit einem kurzen Exkurs ins Altgriechische erläutert er dazu den Begriff Kinästhetik. kineō bedeute „bewegen“, aísthēsis „Wahrnehmung“ beziehungsweise „Empfindung“ – und damit, „Bewegung zu fühlen und zu verinnerlichen“.

Ein Patient oder Heimbewohner, verdeutlicht der langjährige BRK-Präsident, der die Bewegung mitfühle, erleichtere nicht nur dem Pflegenden die Arbeit, sondern helfe auch sich selbst. „Damit wird Bewegung plötzlich zur Interaktion und zur Kommunikation. Sich ohne Worte näherzukommen, das ist unglaublich. Das hat mich von Anfang an begeistert“, sagt Zellner, der in Kinaesthetics einen zusätzlichen Beitrag zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement sieht.

Seine Rede nutzt der ehemalige Landrat am Dienstag für einen leidenschaftlichen Appell, am Stellenwert der Pflege und am Ansehen der Berufsgruppen im Land zu arbeiten. „Wenn wir das Ranking der Berufe nicht umdrehen, dann stimmt in unserer Gesellschaft etwas nicht mehr.“

Der „soziale Teil und die soziale Gerechtigkeit“, bekräftigt er, müssten „ganz nach oben geschoben werden“ – alles andere müsse zuarbeiten. „Der wirtschaftliche Erfolg muss dazu beitragen, dass wir in den sozialen Teilen nicht hinten dran bleiben“, fordert der Bad Kötztinger.

Im ersten Input-Vortrag des Tages – weitere Referenten sind Sabine Siemann von Kinaesthetics Deutschland und Elisabeth Nachreiner – veranschaulicht Stefan Knobel eindrucksvoll, wie der Pflegeberuf von der Kinästhetik profitieren kann.

„Eines der Vorzeige-Heime in Deutschland“

Der Schweizer ist gelernter Krankenpfleger und befasst sich seit fast 40 Jahren mit Kinaesthetics. Er gilt als „Papst“ der Szene, entwickelt europaweit Konzepte rund um das Thema weiter und leitete die jüngste Trainer-Ausbildung in Furth im Wald, „einem der Vorzeige-Heime in Deutschland“, wie er sagt.

Als wissenschaftliches Fachgebiet, erläutert Knobel, beschäftige sich Kinaesthetics im Wesentlichen mit der Individual-Entwicklung. Die Einteilung in „Alt“ und „Jung“ hält er für lange überholt. Zentral für menschliche Wesen sei die Entwicklung – etwas, das auch einem oder einer 100-Jährigen noch möglich sei. „Jeder Mensch entwickelt sich aufgrund seiner Erfahrungen und seines Umfeldes in die Richtung, in die er kann“, sagt der Schweizer.

Bei seinem Vortrag tritt er entschieden dafür ein, in der Pflegebranche „mit den Standards aufzuräumen“ und wie die Entwicklung des Menschen auch dessen Pflege individuell zu betrachten.  Im Kern gehe es darum, Betroffene bei ihren alltäglichen Aktivitäten zu unterstützen. „Die Menschen kommen nicht ins Pflegeheim oder brauchen häusliche Unterstützung, weil sie krank sind, sondern weil die Krankheit dazu führt, dass sie die alltäglichen Aktivitäten nicht mehr schaffen.“

Pflege sei kein therapeutischer, sondern ein helfender Beruf, der kompetente Lebensführung zum Ziel habe. „Es reicht eben nicht“, erklärt Knobel, „wenn ich jemanden hinstelle oder ihn aufstellen muss.“

„Die Selbstständigkeit ist das Ziel – und Selbstständigkeit führt immer zu mehr Lebensqualität. Referent Stefan Knobel

Wesentlich sei, dass die Person erfahren könne, wie sie selber aufstehe. So könne sie mehr Möglichkeiten entwickeln. „Die Selbstständigkeit ist das Ziel – und Selbstständigkeit führt immer zu mehr Lebensqualität“, sagt er.

Bei all dem trifft der Referent eine Reihe an mutigen Aussagen, mit denen er ausschert aus gängigen Schemata. „Heben schadet nicht nur dem Personal, heben ist ein Pflegefehler und schadet auch dem Bewohner“, meint er beispielsweise. Ein Patient müsse nicht gehoben werden, „wenn man die Individualentwicklung sieht und versteht, wie ein Mensch funktioniert“.

Seine Botschaft lautet in diesem Zusammenhang, nicht in Roboter oder andere technische Hilfsmittel zu investieren, sondern in den „Kern der Pflege“ – und dieser Kern, an dem Kinaesthetics ansetze, sei es eben, Menschen bei ihren alltäglichen Aktivitäten zu unterstützen.

„Wenn man da investiert, löst man viele Probleme“, sagt der Kinaesthetics-Experte und erkennt darin eine große Chance, zu verhindern, dass Fachkräfte der Pflege den Rücken kehren – mit ruinierter Gesundheit und frustriert darüber, dass sie Patienten oder Bewohnern trotz ihrer hohen Ansprüche im Arbeitsalltag „oft gar nicht wirklich helfen“.

„Es ist elementar, dass wir uns in Zukunft mit dem Kern der Pflege befassen anstatt mit Nebensächlichkeiten“, betont der Gast aus der Schweiz.

Pflege müsse dazu führen, dass es nicht nur dem Patienten besser gehe, sondern auch den Pflegenden selbst. „Wenn man das verstanden hat“, meint Knobel, „wird Pflege zu einem äußerst attraktiven, interessanten Beruf.“

Essentiell ist es dabei in seinen Augen, die Kompetenz der Mitarbeiter zu stärken. Sie sei das entscheidende „Betriebsmittel“ in jeder Einrichtung.