Die Senioren-WG als neue Heimat und Ersatz für die Familie

Seit vier Jahren bietet das BRK Cham in Willmering eine besondere Wohnform an. Elf Damen und ein Herr leben, kochen, spielen und feiern zusammen. Sie schätzen das Miteinander, aber auch die Freiheit, sich jederzeit ins eigene Zimmer zurückziehen zu können. Bei Bedarf steht jederzeit Rot-Kreuz-Personal unterstützend bereit. „Es ist 24/7 jemand zur Stelle – zwar immer im Hintergrund, aber wir sind da", sagt Pflegedienstleiterin Bettina Alt. In den nächsten Wochen zieht das Modell der Senioren-WG weitere Kreise. In Arnschwang und Rimbach eröffnen neue Einrichtungen nach dem Willmeringer Vorbild. Dort sind noch Plätze frei.

Von Frank Betthausen

Willmering. Sie sind eine richtig große Familie – die Bewohner und Mitarbeiter der Senioren-Wohngemeinschaft in Willmering. „Hier ist keiner eine Nummer. Wir haben hier eine 1:1-Betreuung. Das ist das, was gut ankommt und geschätzt wird“, sagt Bettina Alt, die Leiterin der BRK-Einrichtung in der Schulstraße. In wenigen Wochen jährt sich deren Eröffnung zum vierten Mal – noch im Winter soll in Arnschwang eine zweite WG in Betrieb gehen. Die dritte soll im Frühjahr in Rimbach folgen.

„Wir sind nicht dazu da, den Leuten alles abzunehmen. Wir wollen unseren Bewohnern vielmehr das Gefühl geben: Ihr seid etwas wert und nicht abgeschoben.“ Pflegedienstleiterin Bettina Alt

Drei Anlässe, einmal in Willmering vorbeizuschauen und den WG-Alltag zu beleuchten!

Im Gespräch mit den Rot-Kreuz-Beschäftigten und den Senioren, die hier eine neue Heimat gefunden haben, wird einer der großen Vorteile der Wohnform schnell deutlich. Wer hier einzieht, lebt in seinem eigenen kleinen Reich; selbstständig – aber nie allein. „Es ist 24/7 jemand zur Stelle – zwar immer im Hintergrund, aber wir sind da. Wir sind eine Art Backoffice, wenn jemand Hilfe braucht. Und wenn es nachts um zwei bei einem Ratsch mit der Nachtschwester ist“, erzählt Alt.

Ressourcenfördernde Unterstützung

Wer sich dazu entschließt, seinen Lebensabend in Willmering – oder künftig in Arnschwang beziehungsweise Rimbach – zu bestreiten, sollte also seinen Alltag noch selbst meistern können. Bei Bedarf erhält er „ressourcenfördernd“, wie die Pflegedienstleiterin es formuliert, Unterstützung durch das Personal.

Aber: „Wir sind nicht dazu da, den Leuten alles abzunehmen. Wir wollen unseren Bewohnern vielmehr das Gefühl geben: Ihr seid etwas wert und nicht abgeschoben“, sagt Alt, die seit Mai 2021 in der Einrichtung tätig ist.

Zwölf Zimmer – Vermieter ist die Michael Dankerl Bau GmbH – hat die 2020 kurz vor dem Ausbruch der Pandemie eröffnete Wohngemeinschaft. Aktuell sind alle belegt. Die Mieter? Elf Damen und ein Herr! Das vermeintlich starke Geschlecht ist in der Schulstraße seit dem allerersten Tag in der Minderheit.

Die Bewohner feiern zusammen Fasching, Ostern, Allerheiligen oder – wie kürzlich in besonders heimeliger Stimmung – Weihnachten und Silvester. Sie kochen gemeinsam Marmelade ein, binden Adventskränze und teilen viele andere große und kleine Freizeitmomente. Dabei haben die Senioren viele Mitspracherechte – bei den Mahlzeiten genauso wie beim Unterhaltungsprogramm.

„Wir sind ein Familienersatz. Wir unterstützen uns gegenseitig. Das ist das, was vielen den Antrieb gibt“, berichtet Alt über das Zusammenleben im Willmeringer Wohn- und Gesundheitszentrum.

Eine Anekdote, die das untermauert? Die älteste Bewohnerin ist 91 Jahre alt. Ihren 90. Geburtstag feierte sie in großer Runde in der WG. Hinterher stand für sie fest: „Das war der schönste Geburtstag, den ich je erlebt habe.“

Zu der besonderen Atmosphäre tragen auch die Beschäftigten bei – und sie profitieren im Dienst umgekehrt davon. „Ich mag es, mit den Menschen umzugehen. Mir gefällt es sehr. Ich finde es schön, mit den Leuten zu spielen, zu reden und ab und an zu kochen“, erzählt Pflegerin Irene.

Der Schritt sollte wohlüberlegt sein

Der Schritt in das neue Leben sollte dennoch wohlüberlegt sein. Das eigene Haus oder die liebgewonnene Mietswohnung aufzugeben, ist eine sehr bewusste Entscheidung. Darauf weist Erika Schick (87) hin. Im Oktober war ihr Einzug in Willmering drei Jahre her. „Man muss damit einverstanden sein, sowas zu unternehmen. Man muss abschließen können und zufrieden sein“, sagt sie.

Die Gremiumssprecherin der WG war 40 Jahre als Buchhalterin in einem Betrieb tätig. Über ihren Bruder verschlug es sie aus Unterfranken in den Landkreis Cham. Bis heute fährt er sie zu Terminen oder zum Arzt.

Einer der großen Vorteile für sie in der BRK-Einrichtung? Dass sie sich nicht jeden Tag an den Herd stellen muss! „Für mich allein wollte ich nicht kochen“, meint sie. In der WG gefällt es ihr gut – es sei anders, als im Altenheim zu sein. Die 87-Jährige schätzt die Gemeinschaft, sagt aber auch: „Ich kann mich zurückziehen in mein Zimmer.“ Dort löst sie Kreuzworträtsel, liest oder sieht fern. Vor zwei Jahren hat sie mit dem Stricken begonnen.

„Wenn man hier jemanden findet, mit dem man sich austauschen kann, ist das wunderbar.“ Gremiumssprecherin Erika Schick

Und dennoch: Es brauche jemanden, mit dem man sich austauschen könne. „Wenn man hier jemanden findet, mit dem das geht, ist das wunderbar“, sagt Schick.

Maria Scheuerer bezeichnet sich selbst als „Frischling“. Die 73-Jährige ist seit einem knappen dreiviertel Jahr in Willmering zu Hause. Sie war früher bei Siemens in Cham tätig und stammt aus der Nähe von Wiesenfelden. Den Umzug hatte ihr nach eigenen Angaben ihr Arzt vorgeschlagen.

Der größte Unterschied zu früher? „Ich habe jetzt mehr Ruhe“, sagt sie. Sie pflegte fast ein Jahr lang allein ihren Lebensgefährten. „Hier bin ich zum Durchschnaufen gekommen“, sagt sie.

Marianne Weizdörfer ist mit ihren 64 Jahren die jüngste Mieterin. In der Wohngemeinschaft gefällt es ihr seit dem ersten Tag – genauso wie in der Umgebung. Die Worte der gebürtigen Nabburgerin, die früher in Vohenstrauß lebte, wiegen in einem Punkt doppelt schwer. Weizdörfer ist gelernte Altenpflegerin und war 30 Jahre in einem Heim tätig. Das Personal in Willmering sei sehr freundlich, sagt sie.

Am Leben dort schätzt auch sie ihre Freiheiten am meisten. Will sie ihre Ruhe, zieht sie sich in ihr Zimmer zurück. Und darüber hinaus? „Man kann auch mal herzhaft lachen hier.“

Alles wie in einer großen Familie eben!
…………………………………………………

⇒ Wer sich für das Thema Senioren-WG interessiert und Interesse an einem Zimmer in Arnschwang, Rimbach oder Willmering hat, kann sich jederzeit mit Pflegedienstleiterin Bettina Alt unter der Nummer (0 99 71) 85 00-54 03 in Verbindung setzen.