„Es hat nix gegeben! Man hat sich unendlich plagen müssen“

Keine Handschuhe, keine Dienstautos und Arztbesuche als Ritterdienst in der Freizeit: Es sind Geschichten aus einer anderen Zeit, die Paula Pfeilschifter und ihre ehemaligen Kolleginnen Gretl Amann, Hildegard Niedermeier und Anneliese Filimon erzählen können. Sie haben die Anfänge der Ambulanten Pflege beim Kreisverband Cham miterlebt. Wer sich mit ihnen unterhält, hört Aussagen wie „Hygiene auf der niedrigsten Stufe war das!" Oder: „Es war eine ganz bescheidene Welt!“

Von Frank Betthausen

Cham. Einmal, das weiß Paula Pfeilschifter noch, als wäre es gestern gewesen, half ihr ein alter Hofbesitzer, das Ehebett seiner pflegebedürftigen Frau höherzustellen. Mit Ziegelsteinen! Der Mann, dessen Partnerin sie als Schwesternhelferin beim BRK regelmäßig auf ihrer Tour besuchte, ging kurz hinters Haus und kam mit den besonderen Hilfsmitteln wieder. „Drei auf jeder Seite. Da war das Problem gelöst. So haben wir uns beholfen“, erinnert sich Pfeilschifter.

„Für mich war alles, was mit Pflege und Krankheit zu tun hat, schon immer etwas, das mich interessiert hat.“ Gretl Amann

Es sind Geschichten aus einer anderen Zeit, die sie und ihre ehemaligen Kolleginnen Margareta Amann, die alle nur Gretl rufen, Hildegard Niedermeier und Anneliese Filimon erzählen können. „Es war eine ganz bescheidene Welt!“, sagt Niedermeier über die Anfänge der Ambulanten Pflege beim Kreisverband Cham.

2022 war es 45 Jahre her, dass die Dienste aufgebaut worden waren. Eng mitbegleitet von Amann, die damals im Büro von Sachgebietsleiter Günther Pfau die Touren einteilte. „Wenn alles gebrannt hat: Die Gretl hat wieder gelöscht. Die hatte so eine Ruhe und so ein medizinisches Wissen“, sagt Paula Pfeilschifter auch heute noch mit größter Anerkennung.

Im vergangenen Jahr hatte Amann in Cham eine Wiedersehensfeier mit ihren früheren Mitstreiterinnen organisiert. Schon damals hatten sich die Damen über Erlebnisse ausgetauscht, die im Jahr 2023 kaum noch einer glauben mag. Von uralten Häusern auf dem Land, in denen sich die Besucher bücken mussten, um durch die Türen zu kommen. Von Räumen halb voll mit schmutziger Wäsche… Von Patientinnen, in deren Bett die Katze sonntagmorgens Junge bekommen hatte.

Berufskleidung war 1977 nicht in Sicht

Warmes Wasser? War auf so manchem abgelegeneren Hof Fehlanzeige! Pflegehilfsmittel? „Es hat nix gegeben“, sagt Pfeilschifter. „Man hat sich unendlich plagen müssen“, erklärt Hildegard Niedermeier. Und Gretl Amann ergänzt: „Hygiene auf der niedrigsten Stufe war das!“ Auch Berufskleidung war 1977, als Günther Pfau unter dem einstigen Kreisgeschäftsführer Hans Leitermann das Sachgebiet aufbaute, nicht in Sicht. „Es gab weiße Schürzen in der Anfangszeit. Handschuhe hatten wir keine“, erinnert sich Amann.

Genauso wenig wie fahrbare Untersätze! Zumindest keine dienstlichen! In den ersten Jahren fuhren die Damen mit ihren Privatautos zu den Klienten. „Das war schließlich ein Ritterdienst“, sagt Niedermeier und schmunzelt. Erst 1983/1984 bekamen die Mitarbeiterinnen mit den markanten weißen Fiat Pandas die ersten Autos.

Auch sonst wurde den Schwestern viel abverlangt. Die Dienste waren geteilt – morgens und abends –, und wer einen neuen Patienten zugeteilt bekam, musste für Absprachen, etwa wegen der Medikamente, zum Arzt in die Praxis fahren. „Alles ehrenamtlich, nebenbei in der Freizeit!“, verdeutlicht Niedermeier. Und am Wochenende? „Da hat man damals auch nicht einfach einen Doktor bekommen“, berichtet Amann.

84 Jahre ist sie inzwischen alt. Ihre Zeit beim Roten Kreuz ist lange her – aber in ihrer Erinnerung sind alle Details lebendig. „Für mich war alles, was mit Pflege und Krankheit zu tun hat, schon immer etwas, das mich interessiert hat“, sagt die Chamerin, deren Vater im Krieg Sanitäter gewesen war.

Als ihre Schwester und ihr Schwager 1959/1960 beim Roten Kreuz im Krankentransport anfingen, wuchs auch sie immer mehr an die Hilfsorganisation heran.

Amann übernahm erste Telefondienste und begleitete Fahrten nach Regensburg. „Dafür gab es 70 Pfennig“, erinnert sie sich.

1962 stieß sie zur Frauenbereitschaft, holte sich das Rüstzeug in Erster Hilfe und absolvierte ihre Sanitätsausbildung. 1965 heuerte ihr Mann, der später Kolonnenführer war, beim Roten Kreuz an und fuhr ebenfalls Krankentransporte. „Von da an war ich quasi endgültig verpflichtet“, sagt sie.

Irgendwann arbeitete sie fest in der kleinen Geschäftsstelle in der Unteren Regenstraße in Cham. An den Wochenenden besuchte sie Lehrgänge an der Bildungsstätte Hohenfels und ließ sich unter anderem zur Sanitätsdienstleiterin schulen. Nach ihrer Ausbildung zur Schwesternhelferin sattelte sie 1977 auf die frisch gegründete Ambulante Haus- und Krankenpflege um – bis sie 1994 aus gesundheitlichen Gründen aufhören musste.

„Die Gretl hat mir sehr viel geholfen“

Eine, die sie mit viel Hingabe und Liebe zum Pflegeberuf unter ihre Fittiche nahm, war Paula Pfeilschifter. „Die Gretl hat mir sehr viel geholfen. Ich bin damals ins kalte Wasser geworfen worden“, erzählt die 73-Jährige aus Radling. Von 1985 bis 1991 war sie beim Roten Kreuz in der Ambulanten Pflege tätig. Vorher hatte sie eine Stelle bei Siemens. „Das hat mich aber nicht mehr ausgefüllt – und die Kinder waren damals groß genug.“

So absolvierte auch sie ihre Ausbildung zu Schwesternhelferin. Zuvor war sie für ihre an Parkinson erkrankte Schwiegermutter und eine pensionierte Lehrerin als Unterstützerin da gewesen. „Da habe ich erste Pflege-Erfahrungen gesammelt“, sagt Pfeilschifter, die 1991 ins Pflegeheim St. Michael wechselte und danach noch im Augustin-Maierhofer-Wohnheim tätig war.

Bis heute ist sie Mitglied in der BRK-Bereitschaft Cham 1, in der sie einst „wie selbstverständlich“ aufgenommen worden war. Mit allem, was dazugehört: Sanitätsausbildung, Sanitätsdienste, Losverkauf…

Hildegard Niedermeier (74) hatte ihren ersten Arbeitstag beim BRK im August 1982. Sie blieb bis zum Februar 1988 „in der Ambulanten“, danach reizte sie die stationäre Tätigkeit noch mehr. Die Willmeringerin absolvierte als Schwesternhelferin die einjährige Krankenpflege-Ausbildung und besuchte später in Aiterhofen bei Straubing die Altenpflegeschule.

„Die Pflege hat mich einfach nicht losgelassen. Und ich wollte nicht immer nur Helferin sein“, sagt sie. Bis 1998 brachte sie sich wie Pfeilschifter in St. Michael ein, danach bis zur Rente in der Geriatrie in Roding.

„Alle, die diesen Beruf machen, müssen das Helfer-Gen haben.“ Paula Pfeilschifter

Anneliese Filimon aus Chamerau (77) fand über Niedermeier den Weg zum Roten Kreuz. „Sie war so nett zu den Patienten. Das will ich auch machen“, dachte sie sich, als sie 1984 ihren Arbeitsvertrag unterschrieb. Die gelernte Industriekauffrau startete nach einem Schwesternhelferinnen-Lehrgang beruflich neu durch – und blieb bis zu ihrem Wechsel in den Ruhestand 2008 beim Kreisverband.

Dass es so kam, verdankt sie nicht zuletzt der früheren Lehrschwester Ingeborg Mück. Sie fragte Filimon nach ihrem Kurs, ob sie weitermachen wolle und setzte alles daran, sie für die Ambulante Pflege zu gewinnen. „14 Tage später hat mich Günther Pfau angerufen“, erinnert sie sich.

Not am Mann war damals oft

Ihr Weg führte sie jedoch bald an den Schreibtisch. Gretl Amann schlug sie wegen ihrer „kleinen, genauen, schönen Schrift“ für eine Tätigkeit im Büro vor. So arbeitete sie bis zur Rente in der Verwaltung – anfangs im Vorzimmer von Pfau – und kümmerte sich um die Abrechnung mit den Kassen. Nur wenn Not am Mann war, half sie in der Pflege aus. „Aber Not am Mann war oft“, sagt sie und lacht.

Ja, die vier Damen erzählen Geschichten aus einer anderen Zeit. Aber ein paar Dinge sind geblieben. Die gelten auch heute für alle, die in der Ambulanten Pflege jeden Tag ihr Bestes geben und mit weißen Rot-Kreuz-Flitzern durch den Landkreis düsen. „Alle, die diesen Beruf machen, müssen das Helfer-Gen haben“, sagt Paula Pfeilschifter überzeugt.

Eine Aussage von Ingeborg Mück hat für die 73-Jährige ebenfalls immer noch Bestand. Als Neulingen habe sie ihnen einst beigebracht: „Stellt euch vor, das ist eure Mutter oder euer Vater: Genau so müsst ihr die Menschen behandeln und pflegen!“

Es waren Worte, die sie geprägt haben. Sie hat sie im Ohr, als wären sie gestern gefallen…